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…und täglich grüßt der Kreml-Troll

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Seit dieser Woche lässt es sich nun wirklich nicht mehr relativieren: Russland führt gegen die Ukraine einen Angriffskrieg. Der Kreml, ob direkt oder indirekt, unterstützt Separatisten in der Ost-Ukraine nicht nur mit Waffen – sondern auch mit eigenen Soldaten. Plötzlich werden sie ruhig, die “Kreml-Trolle”, wie neuerdings jene Kommentatoren im Internet genannt werden, die Putin auf Teufel-komm-heraus verteidigen und die Schuld an jeder Aggression auf einen Obama-Merkel-Komplott lenken. Für jeden Journalisten, der vor Ort recherchiert und russischen wie ukrainischen Quellen gründlich misstraut, haben sich diese Herrschaften als wahre Plage erwiesen.

Ganz konfus vom Kreml-Kurs, sitzen sie jetzt an ihren Rechnern und lecken die Wunden. Aber sie rüsten auf, um mit neuen fadenscheinigen Argumenten gegen den Westen zu schüren. Bevor ich mich in den Urlaub verabschiede und dieser Plage bewusst entziehe, noch ein paar Klarstellungen zu bisher wenig beleuchteten Standard-Argumenten:

Fünf Milliarden Dollar sollen die USA an die Ukraine gezahlt haben, behaupten diese Kommentatoren immer wieder. Damit soll die „Revolution“ in der Ukraine finanziert worden sein. Das ist eine verkürzte Information, die russische Medien seit dem Frühjahr streuen. Sie fußen auf einer Rede, die Amerikas EU-Beauftrage Victoria Nuland im Dezember 2013 gehalten hat. Sie bezifferte darin die Entwicklungshilfe der USA an die Ukraine auf fünf Milliarden Dollar – seit der Unabhängigkeit im Jahr 1991. Dass sich die Summe auf den Zeitraum von zwölf Jahren bezieht, verschweigen russische Medien gern. Stattdessen wird der Eindruck erweckt, als seien die Proteste nur wegen der US-Finanzhilfe möglich gewesen. Das ist Unsinn. EU-Ländern haben aufs Jahr gerechnet seit Anfang der 90er Jahre mehr Geld in den Staatsaufbau gepumpt, von Weltbank und IWF ganz zu schweigen.

Hunter Biden, der Sohn des US-Vizepräsidenten mit dem Vornamen Joe, sitzt im Vorstand des ukrainischen Gas-Herstellers Burisma, ja. Na und? Das Unternehmen produziert keine zehn Prozent des ukrainischen Gases und hat bislang noch keinen Gewinn ausgewiesen. Die Förderlizenzen beziehen sich vor allem auf Felder der Südost- und Ost-Ukraine, wo wegen der politischen Lage auf absehbare Zeit keine Förderung möglich sein wird. In einem nach wie vor korrupten Land mit mörderischer Bürokratie wie der Ukraine sind Investitionen in die langfristig ausgerichtete Öl- und Gasindustrie ein riskantes Unterfangen, keine Goldgrube. Wenn sich ein Privatunternehmen einen US-Anwalt mit guten Kontakten zur Politik engagiert, ist das nur legitim. Die Ukraine fördert übrigens im ganzen Land so viel Gas die Russen aus einem einzigen Feld rausholen.

Flug MH17 sei ja in Wahrheit von den Ukrainern selbst abgeschossen worden. Ach, es gibt noch viel krudere Verschwörungstheorien. Erst diese Woche schrieb die “KP” in Moskau, in der Ukraine sei die über dem Indischen Ozean verschollene Boeing-777 mit Flugnummer MH-370 abgestürzt, ohne Passagiere natürlich. Möchte das mal jemand den Hinterbliebenen erklären? Um es klar zu sagen: Es wird wahrscheinlich keine Beweise geben, wonach irrlichternde Separatisten das Flugzeug vom Himmel geholt haben. Der Flugschreiber wird den Einschlag registriert haben, nicht aber die Richtung, aus der einer Rakete kam. Überwachungsbilder – so sie denn existieren – geben weder Russen noch Amerikaner preis: Keiner will dem anderen zeigen, was seine Spione alles filmen können. Wie im kalten Krieg. Gleichwohl ist die Indizienlage erdrückend – und sie spricht klar gegen die Rebellen.

Sorry, das klingt jetzt fast so, als würde ich die Aktivitäten der USA pauschal gut heißen. Das ist nicht der Fall. Natürlich mischt sich die US-Politik auf schädliche Weise in die EU-Politik gegenüber Europa ein: Washington liebäugelt mit Waffenlieferungen an die Ukraine (falls die nicht schon laufen) und die US-Politik gießt mit Säbelrasseln immer weiter Öl ins Feuer des Konflikts. Die Krise in der Ukraine ist eine europäische Angelegenheit, die europäisch gelöst werden sollte – was die EU auch vorhat. Dass Washington sich immer wieder einmischt und ständig quer schießt, ist kontraproduktiv.

Gleichwohl sollten wir fair bleiben: Das Märchen, wonach das Finanzkapital der USA die Weltherrschaft anstrebt, Europa unterjocht und sich einzig Russland der Hegemonie tapfer entgegen stellt – es gehört ins Reich der Verschwörungstheorien. Oder in die Propaganda-Show des russischen Staatsfernsehens, die die Menschen dort zu Zombies macht.

Und hiermit verabschiede ich mich 3 Wochen in den Urlaub. Hoffentlich.

Florian Willershausen


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